KREIS: Rötelmaus sorgt für Hantavirus-Epidemie
Weil sich die Rötelmaus wegen der Buchenmast im vergangenen Jahr stark vermehren konnte, steigt das Infektionsgeschehen im Landkreis stark an.
ESSLINGEN. (red) - "Bislang sind im Kreis Esslingen 56 Fälle gemeldet. Der Spitzenwert seit Einführung der Meldepflicht lag bei 134 Fällen im Jahr 2012", bestätigt Dr. Albrecht Wiedemann, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin beim Esslinger Gesundheitsamt in Plochingen.
Von den bislang gemeldeten Fällen wurde zum
Zeitpunkt der Meldung bereits 32 im Krankenhaus behandelt. Todesfälle sind bislang
keine bekannt. Der Mediziner präzisiert: "41 Patienten sind männlich, 15
weiblich, was der typischen Geschlechterverteilung entspricht. Auch die
Altersverteilung entspricht dem gewohnten Bild mit einem Gipfel bei den 40- bis
60-Jährigen". Wie Albrecht Wiedemann weiter mitteilt, treten Hantavirusfälle
geografisch betrachtet hauptsächlich im Bereich Schwäbische Alb, Filderebene,
Schönbuch und im Neckartal auf. "Eher selten betroffen sind die Gemeinden auf
der Schurwaldhöhe, obwohl dort auch viele Rötelmäuse vorkommen". Die starke
Vermehrung der Rötelmäuse geht auf ein Wetterphänomen über dem Nordatlantik
zurück. Die Oszillation über dem Ozean wirkt dabei wie ein Taktgeber für
Buchen, Kastanien und andere Laubbäume, die besonders viele Samen produzieren.
Das vergangene Jahr war ein sogenanntes Mastjahr, es gab viele Samen und damit
konnten sich die kleinen Nager über einen reich gedeckten Tisch freuen und
vermehrten sich überproportional.
Vor Staub schützen
Man könnte annehmen, dass Mund- und Nasenschutz auch vor dem Hantavirus bewahrt. Doch nur bedingt, wie Albrecht Wiedemann diese Hoffnung trübt: "Die Hantaviruserkrankung ist so gut wie gar nicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Die Ansteckung erfolgt bei uns hauptsächlich über Staub, der die Exkremente von Rötelmäusen enthält." Dies bestätigt auch Josephine Palatzky, Pressesprecherin des Regierungspräsidiums Stuttgart: "Erhöhtes Infektionsrisiko besteht bei Tätigkeiten, bei denen Staub aufgewirbelt werden kann. Dies betrifft vor allem Holzarbeiten im Wald und Garten und die Reinigung von Kellern, Schuppen, Scheunen und Ställen." Sie erklärt, dass die Übertragung in der Regel über das Einatmen von an Staubpartikeln gebundenen Krankheitserregern erfolge. Einen Schutz gegen das Hantavirus gibt es derzeit nicht, wie Josephine Palatzky mitteilte: "Aktuell steht weder ein Impfstoff noch eine Erreger-spezifische Therapie zur Verfügung." Um sich vor einer Infektion zu schützen empfiehlt sie die Vermeidung des Kontakts mit Ausscheidungen von Nagern. "Das Befeuchten von Flächen vor Reinigungsarbeiten bindet Staub. Eine Entsorgung zuvor desinfizierter Nagerausscheidungen vermindert das Expositionsrisiko." Des Weiteren misst die Regierungssprecherin den Schutzmasken eine fortwährende Bedeutung zu: "Es wird außerdem empfohlen zum Schutz gegen Hantaviren, beim Schuppenfegen und ähnlichen Tätigkeiten eine Staubmaske zu tragen."
Höchste Fallzahlen seit 20 Jahren
Das Hantavirus hat es im Landkreis bisweilen in diesem Jahr unter die drei häufigsten Vorkommen der meldepflichtigen Krankheitserreger geschafft, wie Dr. Albrecht Wiedemann bestätigt: "Corona liegt mit 13 000 Fällen in diesem Jahr an der Spitze. Auf Platz zwei liegt bei den Viruserkrankungen momentan die Hepatitis B mit 66 Fällen, gefolgt vom Hantavirus mit 56 Fällen, Hepatitis C mit 18 Fällen und dem Rotavirus mit 14 Fällen."
Er erinnert sich an "ruhigere" Zeiten beim Gesundheitsamt: "Während in
den fünf Jahren vor Corona im Schnitt jährlich zwischen 1 500 und 2 500 Meldungen über
Viruserkrankungen bearbeitet werden mussten, waren es im Vergleich im Jahr 2020
rund 15 000 Fälle." Die Vorhersage für die Zahl der Hantavirus-Ansteckungen ist
düster: "Es ist nicht auszuschließen, dass sich die Zahl für 2021 noch
verdoppelt, da der Gipfel der Häufigkeitsverteilung von Hantavirus-Erkrankungen
in Baden-Württemberg meist im Zeitraum Mitte Mai bis Mitte Juni liegt",
befürchtet Albrecht Wiedemann den weiteren Epidemie-Verlauf. Mit diesen Aussichten vergeht
vermutlich noch einige Zeit, bevor man die Schutzmaske, zumindest bei staubigen
Arbeiten im häuslichen Bereich, endgültig ablegen kann. Umfangreiche Informationen über das Hantavirus liefert das Robert-Koch-Institut (RKI) hier.